Tom
Bangkok – 36 Grad im Schatten, 85 % Luftfeuchtigkeit. Verschwitzt und müde von dem langen Flug stehe ich an der Ampel an der Phathon Yothin, um meinen Bus am Northern Bus Terminal auf der anderen Straßenseite zu erreichen. Bangkok vibriert - wie immer. Auf der 8-spurigen Straße fahren Autos, Busse, Motorräder kreuz und quer durcheinander. Auf den Bürgersteigen umkurven Motorroller die Fußgänger. Über allem hängt der Essensgeruch der Garküchen und der Smog. Was bin ich froh, wieder hier zu sein!
„Sabine?“ Verwundert blicke ich mich beim Überqueren der Straße um. Stehen bleiben kann ich nicht. Wenn sich die Menschenmassen in dieser Stadt erst einmal in Bewegung gesetzt haben, gibt es kein Zurück.
Auf der anderen Straßenseite bleibe ich stehen. Wer ist der Mann, der mir von der anderen Seite der Straße wild zuwinkt. Auf jeden Fall scheint er sehr aufgeregt zu sein. Er bedeutet mir mit den Händen, stehen zu bleiben und auf ihn zu warten.
„Mensch, Bine, cool, dich hier zu treffen. Wie geht’s denn immer so? Alles fit im Schritt?“
Alles fit im Schritt? Nun, das kann ich nicht gerade behaupten. Der Schweiß läuft in Strömen, meine Leinenhose klebt an meinen Beinen, das T-Shirt ist nass geschwitzt, der Rucksack zu schwer und meine Haare hängen mir strähnig und wirr im Gesicht.
Außerdem habe ich noch immer keine Ahnung, wen ich eigentlich vor mir habe. Vor mir steht ein ziemlich schmuddeliger Mann mit blassem Gesicht. Die noch wenigen vorhandenen Haare sind zu einem dünnen Zopf gebunden. Dazu die bei Travellern beliebte Einheitskleidung – Batikshirt und Fishermen-Hose.
„Gib’s zu! Du erkennst mich nicht, oder? Rate doch mal!“ Er zwickt mich in die Seite. Ich hasse es, wenn man mir in die Seite zwickt. Vor allem hasse ich es, wenn ich mitten in Bangkok durchgeschwitzt mit Rucksack auf dem Rücken auf einem vollen Fußweg stehe, Durst und Hunger habe und eigentlich nur den Bus Richtung Süden erreichen möchte.
Woher kennt der Mensch mich? Wer ist das? Ein Arbeitskollege, den ich ohne seinen grauen Anzug nicht erkenne? Eine Internet-Bekanntschaft, der ich mal ein Foto von mir geschickt habe? Ein one-night-stand, den ich vollkommen verdrängt habe?
Ich schaue den Mann an. „Till Schweiger?“ rate ich schließlich genervt. „George Clooney?“
Er kichert. „Eh Mann, Alte, echt cool! Selten so gelacht!“
Bei „Eh Mann, Alte“ dämmert es mir. „Tom?“
„Jetzt hast’ es! Mensch Alte, wir beide in Bangkok! Geiles Ding!“
Tom – was war ich den Typen einst verliebt! Tom mit seinen langen Haaren und den Reggaescheiben. Er war immer ein wenig cooler als andere Typen und ließ mich das auch deutlich spüren. Ich war dafür da, den Kühlschrank zu füllen und den Alkohol zu bezahlen. Er kümmerte sich um seine „Projekte“, vornehmlich kiffen und ein bisschen auf dem Bass rumklimpern. Tom war nämlich auf dem Weg zu einem Weltstar. Die Wailers warteten nur auf ihn, genau wie jede andere Band. Nur ich war zu blöd, dieses zu erkennen. Ich war einfach zu „stressig“ und zu „uncool“, wahlweise auch zu „fett“ oder zu „spießig“. Als ich es endlich schaffte, ihn vor die Tür zu setzen, zeterte er „Das wird dir noch leid tun! Ich schaffe es eines Tages. Aber dann komm DU nicht bei mir an!“
Wie ein Weltstar sieht er allerdings nicht aus.
„Mensch Alte, schön dich zu sehen! Lass uns was trinken gehen“, sagt er. „Musst aber zahlen, ich bin gerade etwas klamm. Habe einige Gigs abgewickelt, aber noch keine Kohle bekommen.“
Ach Tom, immer noch die gleichen Geschichten und immer noch alte Leier. „Lass man, ich hab’s eilig“ sage ich, drehe mich um und mache mich auf den Weg zu meinem Bus Richtung Trat. – Heilfroh und äußerst zufrieden!
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